Das Letzte Urteil?

... oder Totgesagte leben länger?


Am 18. Juli 2018 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über eine wichtige Klage gegen den Rundfunkbeitrag entschieden. Und das Urteil (1 BvR 1675/16) [1], das im Wesentlichen nicht anders ausfiel als erwartet, hat die Landschaft für weitere Klagen verändert. Zu erwarten war der Ausgang, weil das BVerfG im Wesentlichen  bisher immer zugunsten der Bedürfnisse der Rundfunkanstalten entschieden hatte und seit 1961 schon hier praktisch die Rolle des Gesetzgebers übernommen hat. Des Weiteren war über verschiedene Klagepunkte inzwischen schon vorinstanzlich mit solchen Begründungen entschieden worden, dass hier so ziemlich klar war, dass diese vom BVerfG so übernommen würden. Wichtig war es dennoch.  Denn hinter gewisse Klagepunkte wurde damit ein Punkt gesetzt. Zu anderen geht's darum, die Fassung nicht zu verlieren. Was geht jetzt noch und wie geht's weiter?

Die Wirkung von BVerfG-Urteilen ist bindend für alle (sie hat praktisch Gesetzes-Charakter), bezieht sich aber gleichzeitig immer nur auf den "konkret entschiedenen Sachverhalt" [2], also auf die von Klägern und Beklagten vorgebrachten und verhandelten Aspekte. Nicht zwangsläufig auf alles, was in den Gründen des Urteilstextes mehr oder weniger beiläufig erwähnt wird. Die Ergebnisse sind in den Leitsätzen des Urteils herausgestellt und hierauf beziehen sich die Begründungen. Was darin scheinbar darüber hinausgeht oder darunter subsumiert wird, hat m.E. mehr den Charakter richtungsweisender Kommentare, nicht jedoch den eines Letzen Wortes.

Den Begründungen zufolge wurden z.B. Aspekte der Benachteiligung von Einpersonenhaushalten nur ganz allgemein als Sachverhalt (Tauglichkeit im Gesetzessinne) betrachtet, nicht die konkrete, effektive Benachteiligung der Betroffenen. Noch weniger, nämlich gar nicht, wurde die  Benachteiligung von Geringverdienern behandelt (die Härtefall-Regelung sei ausreichend, wurde von einem vorinstanzlichen Gericht entschieden). Während die Rundfunkanstalten der KEF ihren "Finanz-Bedarf" melden, der sich dann im Beitrag wiederspiegeln soll, wird der finanzielle Bedarf (oder die Finanzkraft) derer, die den Beitrag zahlen sollen, nicht in Betracht gezogen. Keiner der Zahlungsverpflichteten kann zu seinem Arbeitgeber sagen kann, "Hey Boss, mein Bedarf sieht soundso aus, bitte zahle mir mal ein dazu passendes Gehalt". Der Boss wird immer auf die Finanzkraft des Unternehmens verweisen, wenn er dafür argumentiert, wieviel oder wie wenig er zu zahlen imstande ist. Der Bedarf der ör-Rundfunkanstalten soll jedoch gedeckt werden, ohne dass die zahlende Partei (wie bei Tarifparteien) auch nur gefragt wird. Dabei wird vom Geringverdiener der gleich hohe Beitrag verlangt wie vom Hochlohnverdiener. (Auf der Themen-Seite "Die Benachteiligung von Geringverdienern" gibt es Zahlen zu konkreten Belastungsunterschieden.)

Und die zeitgemäße "Adäquatheit der Gegenleistung" (also die Qualität des Angebots des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) wurde zwar mehrfach im Abschnitt Gründe des Urteils genannt, aber eben als Detail zur Erklärung der Urteilsfindung zu den 4 Leitsätzen, also den 4 Entscheidungen, in denen es im Kern um etwas anderes ging. Da es um die Überprüfung der "Adäquatheit der Gegenleistung" an und für sich also nicht ging und das BVerfG selbst keine Gutachten in Auftrag gibt, bediente man sich der gängingen Praxis, frühere eigene oder andere Entscheidungen vorinstanzlicher Gerichte zu referenzieren. D.h. als Belege wurden alte, nicht wirklich mehr zur heutigen Zeit passende Urteile zitiert, sowie Gutachten, die vom ZDF selbst in Auftrag gegeben wurden. Da das Thema selbst aber nicht Bestandteil der Verhandlung war, sollte hier noch Freiraum für eine Klage vorhanden sein, die genau diesen Punkt, die Adäquatheit, zum Gegenstand hat. 

Und mindestens eine Klage gibt es, die mehrere der offen gebliebenen Beschwerdepunkte direkt zum Ziel hat, und schon seit 2015 hatte. Ihre Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht steht noch aus und das Prozedere ihrer bisherigen Behandlung gleicht dem der Klage von Olaf Kretschmann (http://www.rundfunkbeitragswiderstand.de/). Inhaltlich gibt es weniger Parallelen. Klar ist jedoch, dass es im Falle eines Negativbescheids auch hier wieder vors Bundesverfassungsgericht gehen würde.

Daher sind die Presseberichte, die nach dem 18. Juli mit dem Satz begannen, "Der Rundfunkbeitrag ist im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar" [3], nur teilweise richtig (ja, der Abs. 49 des Urteils kann wohl auf den Satz reduziert werden). Viel mehr aber noch nicht. Der Satz impliziert jedoch mehr. Er sagt so ziemlich alles hat seine Richtigkeit und damit ein Ende. Wie beschrieben, ist es ganz so einfach doch nicht.

Meine Hoffnung auf einen Neuanfang durch ein neues Gerichtsurteil ist noch nicht begraben. Meine Hoffnung darauf, dass der Gesetzgeber oder die Rundfunkanstalten sich selbst reformieren, hingegen schon lange.


Die Ergebnisse und ihre Probleme


Dass es auf ein "Vorhandensein von Empfangsgeräten" oder "einen Nutzungswillen" nicht mehr ankommt, war längst klar (so klar wie, dass es keine GEZ mehr gibt). Das hatten vorangegange Urteile bereits mit wenig verbleibendem Spielraum ausbuchstabiert. Dass steuerlich der Beitrag immer noch ein Beitrag ist (also keine Steuer), wenn eine "unbestimmte Vielzahl" (inkl. aller) Bürgerinnen und Bürger zu Beiträgen herangezogen wird [4], war noch unbestätigt. Jetzt ist es bestätigt. Unglaublich, aber Punkt. Dass Zweitwohnungsinhaber zukünftig nicht mehr doppelt zahlen müssen, ist eine nette Überraschung. Hier wurde damit begründet, dass "dieselbe Person [...] für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden" darf [5], weil sonst gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen würde.

Super, wenn dasselbe Prinzip so auch auf Betriebsstätten und gewerblich genutzte Kraftfahrzeuge  angewandt worden wäre ... obwohl Betriebsstätteninhaber, deren Mitarbeiter und Kunden oder Kfz-Fahrer und -Mieter in der Regel auch alle in Wohnungen wohnen (und über sie also schon zur Zahlung gebeten werden). Für dies widerum wurde mit einem zusätzlichen gewerblichen Vorteil argumentiert (Wettbewerbsvorteil, Unterhaltung von Kunden u.ä.). Inwiefern die Bereitstellung eines solchen Vorteils, sofern überhaupt realistisch, allerdings noch zu den durch die grundgesetzliche Rundfreiheit begründeten Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gehören kann, blieb jedoch unklar (so unklar wie vor der Reform) und wurde im Detail zu einem neuen Beschwerdeziel.

Ebenso berücksichtigte das BVerfG unter dieser Begründung überhaupt nicht, dass zu den Betriebsstätten auch Behörden und andere öffentliche Einrichtungen, wie z.B. Schulen und Universitäten, gehören. Die Universität, an der bspw. ich arbeite, sucht keine Wettbewerbsvorteile. Mitarbeiter oder Studenten mittels des öffentlich-rechtlichen Rundfunks "zu informieren oder zu unterhalten" gehört auch nicht zu ihren Zielen. Ebenso realitätsfern ist der "Wettbewerbsvorteil" bei gewerblichen Unternehmen. Unter den gegebenen Prämissen gibt es schließlich kein Unternehmen, keinen Autovermieter o.ä.a., der nicht denselben Wettbewerbsvorteil im Sortiment hat. Was jeder hat, ist kein Vorteil. Und Einzelhandelsketten, wie z.B. Lidl und Aldi, haben mittlerweile eigene Radiosender, mit denen sie Kunden "informieren und unterhalten".

Die Nicht-Nutzung wird zwar, wie längst bekannt und nun nochmal bestätigt, als nicht relevant für die Zahlungspflicht angesehen, aber ... Aber ab welchem Anteil Nicht-Nutzung fängt sie eigentlich an, doch wieder relevant zu werden? Im privaten Bereich beträgt der "Marktanteil" der öffentlich-rechtlich bereits heute unter 50% (ca. 44% lt. KEK). Wieviel Nicht-Nutzung (egal, ob privat oder gewerblich) ist hinnehmbar, um von Nutzern wie Nicht-Nutzern gemeinsam eine Zwangsfinanzierung derart zu rechtfertigen, dass sie ein Beitrag sein soll, statt einer Steuer? Ein Beitrag zur Arbeitslosenversicherung orientiert sich am Einkommen, ebenso der Solidarzuschlag.   Solche und ähnliche Rahmenbedingungen blieben gänzlich unbeleuchtet. Kein anderes Gesetz ist so rahmenlos grenzenlos.


Die verbliebenen Probleme


Offen gebliebene Probleme, solche die verhandelt wurden und darüber hinaus, sollen hier nochmal hinsichtlich konkreter Sachverhalte und Abweichungen dieser Sachverhalte von bereits Verhandeltem  (also hinsichtl. der Bindung des BVerfG-Urteils) beleuchtet werden. Zuerst die pauschalisierten Gründe für die "Hinnehmbarkeit" der Benachteiligung von Einpersonenhaushalten. Dann die Benachteiligung von Geringverdienern, die keine Härtefälle sind (also nicht befreit sind), und im Verhältnis zu Normal- oder Höherverdienern wesentlich mehr zahlen - eine Benachteiligung, die nicht Bestandteil der BVerfG-Verhandlung war (das BVerwG Leipzig hatte hierzu im März 2016 geurteilt, dass die Härtefall-Regelung ausreichend sei - BVerwG 6 C 6.15: https://www.bverwg.de/180316U6C6.15.0). Wie würde das BVerfG mit Blick auf das Sozialstaatsgebot [6] oder das Gleichheitsgebot [7] hier urteilen, wenn ihm konkrete Zahlen vorgelegt würden? Oder ist auch hier alles vom Bürger hinzunehmen? Für Geringverdiener (ca. 20% der erwerbstätig Beschäftigten [8] in Deutschland) sind die Auswirkungen vielfältiger als das ÖR-Rundfunkangebot (lol).

Und dann gibt es auch heute zu Geräten und Empfangskanälen noch etwas zu sagen. Nur aus einem anderen Blickwinkel: nämlich dem des Privateigentums. Sollte nicht der Staat an uns dafür bezahlen, dass er "unsere private Infrastruktur" (privat bezahlte Geräte und Kabel- oder Internetanschlüsse) dafür mitnutzt, seine hoheitliche Aufgabe wahrzunehmen, die Rundfunkfreiheit zu gewährleisten? Wer die Idee wahnwitzig findet, lacht zu früh. Das Gericht war sich der Zwiespältigkeit des Infrastruktur-Aspekts durchaus bewusst und hat entsprechend (kurz, aber dennoch) erwähnt, dass, mit anderen Worten, jeder (also auch der unfreiwillige Kunde) hierfür selbst bezahlen darf [9]. - Da man das Angebot des ÖRR jedoch nicht ablehnen kann und der Zahlungszwang an die Wohnung angeknüpft wird, sollte die Infrastruktur für die Pflichtannahme nicht eigentlich auch bis in die Wohnung hinein vom Staat finanziert werden?

Dann der letzte und wichtigste Aspekt: die Frage, ob nicht die angeblich "adäquate Gegenleistung" (der Vorteil, der in der Vielfalt sicherndernden möglichen Nutzung des ÖR-Rundfunk bestehen soll) mittlerweile alles andere als ein Vorteil ist - nämlich ein Nachteil. Ein Nachteil für den einzelnen Nutzer, für die Gesamtgesellschaft und für den Markt.


Weiterlesen auf den Themen-Seiten:

01 :: Die Benachteiligung von Einpersonenhaushalten




Quellen:

[1] BVerfG-Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 201, - 1 BvR 1675/16 - Rn. (1-157): http://www.bverfg.de/e/rs20180718_1bvr167516.html

[2] Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG), §31: http://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/__31.html  und zur Wirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), siehe erster Absatz hier: https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Wirkung-der-Entscheidung/wirkung-der-entscheidung_node.html

[3] Z.B. der Tagesspiegel hier https://www.tagesspiegel.de/medien/bundesverfassungsgericht-was-das-urteil-zum-rundfunkbeitrag-bedeutet/22814406.html; die Legal Tribune Online hier https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-urteil-1bvr167516-ua-rundfunkbeitrag-im-wesentlichen-verfassungsgemaess/; die Berliner Morgenpost hier: https://www.morgenpost.de/kultur/tv/article214880351/BGH-Urteil-zum-Rundfunkbeitrag-was-sich-jetzt-aendert.html; und die Süddeutsche Zeitung hier: https://www.sueddeutsche.de/medien/gez-rundfunkbeitrag-bundesverfassungsgericht-1.4058710

[4] 2. Leitsatz des 1 BvR 1675/16: "Auch eine unbestimmte Vielzahl oder gar alle Bürgerinnen und Bürger können zu Beiträgen herangezogen werden, sofern ihnen jeweils ein Vorteil individuell-konkret zugerechnet werden kann und soweit dessen Nutzung realistischerweise möglich erscheint.", http://www.bverfg.de/e/rs20180718_1bvr167516.html

[5] Abs. 106: "Dabei darf dieselbe Person jedoch für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden (dd). " des 1 BvR 1675/16 (Link wie [1])

[6] Inhalt des Sozialstaatsprinzips: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialstaatsprinzip#Inhalt_des_Sozialstaatsprinzips

[7] Die Bedeutung des "Allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)" ist hier erklärt: https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichheitssatz#Gleich-/Ungleichbehandlung

[8] Die Entwicklung des Anteils der Niedrigentlohnten änderte sich lt. dem Institut Arbeit Qualifikation (IAQ) über die Periode von 2000 bis 2015 nur um wenige Prozentpunkt. Im Jahr 2000 lag sie bei 18,7% und in 2015 bei 22,6%, Quelle: https://www.miese-jobs.de/chroniken/10-08-17/; die Statista GmbH, Köln, bestätigt die Angabe für 2015: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161881/umfrage/niedriglohnbeschaeftigte-in-deutschland-seit-1995/; eine "Circa-Angabe" m. 20% für heute ist also gerechtfertigt

[9] Siehe Abs. 85 des Urteils: "(4) Die Zuleitung der Nutzungsmöglichkeit in die Wohnung zählt hingegen nicht mehr zu dem Vorteil, den der Rundfunkbeitrag abdecken soll. Aus den Gesetzesmaterialien und dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass die Gesetzgeber den lokalen Empfang des Rundfunkangebots in der Wohnung nicht als Teil der zwingend zu erbringenden öffentlichen Leistung, sondern lediglich als mögliche Zusatzleistung angesehen haben [...]" (Link zum Urteil, siehe [1])



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