01 :: Benachteiligung von Einpersonenhaushalten

Wie hinnehmbar ist die Benachteiligung von Einpersonenhaushalten wirklich?


Das Gericht hat festgehalten "die Benachteiligung von Einpersonenhaushalten ist hinnehmbar". Der "konkrete Sachverhalt", die Einpersonenhaushalte, wurden nicht betrachtet. Weder Gutachten noch Statistiken waren Teil der Begründung. Das "hinnehmbare" Ausmaß blieb also unbeachtet. Bei näherem Hinsehen ergibt sich jedoch folgendes Bild: im Jahr 2016 lag der Anteil an Einpersonenhaushalten in Deutschland bei 41% (lt. Statistischem Bundesamt und der Statista GmbH) [10]. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung schreibt im aktuellen Jahr "neben dem Rückgang größerer Haushalte wird die Entwicklung der Haushaltsstrukturen vor allem [... ] durch die steigende Zahl von Einpersonenhaushalten [geprägt]" [11]. So ziemlich das Gegenteil von dem, was die Richter sich in ihre Begründung geschrieben haben.

Wollte man den Richtern die Blindheit der Justitia unterstellen, dann könnte man sagen, sie haben von dieser sicherlich neuen Entwicklung nichts gewusst, und die Gesetzgeber wussten es beim Verfassen der Rundfunkstaatsverträge auch nicht besser. Aber ziemlich weit gefehlt ... Schon im Jahr 2012 schrieb die Bundeszentrale für politische Bildung vorausschauend: "Die Haushalte in Deutschland werden tendenziell immer kleiner. Die Einpersonenhaushalte übertreffen zahlenmäßig mittlerweile alle anderen Haushaltsgrößen – im Jahr 2011 lag ihr Anteil bei 40,4 Prozent" [12]. Und sie prognostizierten bereits im Jahr 2012 für 2030 einen Anstieg auf 43%! (Also in den Jahren vor der Reform.)

Ohne einen Blick auf diese Realitäten begründete das BVerfG die Hinnehmbarkeit für fast die Hälfte der Bevölkerung jedoch wie folgt und sagte andersherum formuliert: die "Entlastung von Mehrpersonenwohnungen" sei von ausreichenden Sachgründen getragen (zu den "Sachgründen" später) und der Gesetzgeber hätte "einen weiten Einschätzungsspielraum" (was immer damit genau gemeint ist oder der Grund dafür ist). Ausgehend von diesem [weiten] Spielraum jedenfalls würde man sich darauf stützen, dass "der private Haushalt in der Vielfalt der modernen Lebensformen" häufig "Gemeinschaften abbildet, die auf ein Zusammenleben angelegt sind" [13].

Danach stellen diese "Lebensformen, die auf ein Zusammenleben angelegt sind" praktisch den Standard "Mehrpersonenhaushalte" dar. Die Mehrheit (ca. 60%) sind sie. Aber Standard? Bei einem Anteil von 41% an Einpersonenhaushalten, Tendenz steigend, sollte der Mehrpersonenhaushalt kaum die Standardmesslatte mehr sein, von der Abweichungen schon mal hinnehmbares Pech haben können. Nicht wenn die Normabweichung bei 41%, Tendenz steigend, liegt. Das ist keine hinnehmbare Größe.

Quellen:

[10] Anzahl der Einpersonenhaushalte (41% in 2016): zur Anzahl gibt es übereinstimmende Angaben bei Destatis (Statistisches Bundesamt) hier https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/zdw/2017/PD17_31_p002.html, bei Statista hier: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/156951/umfrage/anzahl-der-einpersonenhaushalte-in-deutschland-seit-1991/

[11] Eine steigende Tendenz für die Einpersonenhaushalte bescheinigt aktuell das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hier: https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Lebensformen/Einpersonenhaushalte.html

[12] Zur Tendenz der Entwicklung der Größen privater Haushalte wurde eine detailierte Analyse bereits im Jahr 2012 von der Bundeszentrale für politische Bildung angeboten: http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61587/haushalte-nach-zahl-der-personen

[13] Zur Hinnehmbarkekit der Benachteiligung von Einpersonenhaushalten, siehe Abs. 103-105 des Urteils (Link zum Urteil, siehe [1])



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