02 :: Benachteiligung von Geringverdienern

Und die Geringverdiener?


Zu den Geringverdienern zählt jeder, der weniger als Zweidrittel des mittleren Lohns, des sog. Medians (Definition der OECD), also des Durchschnittseinkommens verdient [14, 15] (in 2014 lag der Medianwert oder Durchschnittsverdienst bei Euro 3.441 brutto im Monat; lt. Statistischem Bundesamt, 2017 - aktuelle Berichte hinken mit ihren Zahlen i.d.R. 1-2 Jahre hinterher). In 2014 sollen 20% der Beschäftigen weniger als den Durchschnitt verdient haben [16].  Lt. Statista lag der Anteil dieser Niedriglohnbeschäftigten in 2015 bei 22,6% [17], und orientiert an Euro 2.000 brutto soll lt. Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag der Anteil aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten, die weniger verdienen, in 2016 bei 17,7%  gelegen haben (davon 14,7% im Westen und 31,2% im Osten) [18]. Ohne der Frage jetzt nachgehen zu können, weshalb der Anteil innerhalb nur eines Jahres so stark gesunken sein soll und inwiefern die Zahlen vergleichbar sind bzw. nicht (es geht ja hier um Beispiele), nehmen wir die Zahl und gehen von aktuell 18-20 % Geringverdienern aus, bzw. mind. 3,7 Millionen [18] Menschen in Deutschland.

Diesen Verdienstunterschieden entsprechend kommt es also für ca. ein Fünftel der Bevölkerung zu Belastungsunterschieden, die für die Betroffenen alles andere als geringfügig sind.

Jetzt folgen ein paar Berechnungsbeispiele, die die Unterschiede im Verhältnis und effektiv illustrieren sollen. Wem der Weg der Zahlen zu steinig oder langweilig ist, dem sei empfohlen die nächsten etwa 7 Absätze zu überspringen und zum Ende dieses Themas zu hopsen (bzw. zum Abs. "Ergebnis des Vergleichs").

Der Einfachheit halber gehen wir für Geringverdiener von einem Bruttogehalt von Euro 2.000 aus, für Durchschnittsverdiener von Euro 3.000 und für Hochlohnverdiener von Euro 5.000 (lt. Absolventa sind Hochlohn-Gehälter i.H.v. Euro 5.000 in zahlreichen Berufsfeldern durchaus üblich), obwohl das untere Ende der Geringverdiener-Spanne bei ca. brutto Euro 1.500 liegt und für Hochlohnverdiener nach oben durchaus noch Spielraum ist (lt. IAB, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, wird von Hochlohn gesprochen, wenn der Verdienst eines Beschäftigten größer als das Eineinhalbfache des Medianwertes oder Durchschnittsverdienstes ist [15]).

Gering- bzw. Niedriglohnverdiener: Einem beliebigen Brutto-Netto-Rechner aus dem Internet zufolge  verbleiben von Euro 2.000 brutto (Voreinstellungen unverändert belassen, z.B. Steuerklasse I, keine Freibeträge, Region Berlin, Jahr 2017), kommt man auf einen Netto-Verdienst i.H.v. € 1.366. Zahlen wir davon den Rundfunkbeitrag i.H.v. Euro 17,50, dann macht das 1,28% des Nettoeinkommens aus. Gehen wir ferner davon aus, dass der Geringverdiener von Euro 1.366 ein Drittel für Miete (Euro 455) ausgibt und Euro 100 Nebenkosten (Strom, Gas, Telekommunikation, Fahrgeld u.a.) hat, verbleiben ihm effektiv max. (!) Euro 811, von denen er oder sie es wahrnimmt, den Beitrag zu zahlen.

Konsequenzen für Niedriglohnverdiener: Wer so wenig an Lebenshaltungskosten zur Verfügung hat, versucht zu sparen, wo er kann. Er guckt nach dem günstigsten Stromtarif, der günstigsten Flatrate und schaut beim Einkaufen nach Angeboten (ok, manch anderer tut das auch, aber was für die einen Sport ist, ist für die anderen Notwendigkeit). Mindestens diesem Personenkreis muss ein  unbeeinflussbarer Beitrag zu einem ungewollten Rundfunk, an dem man nicht durch Angebote oder geringere Nutzung sparen kann, als Akt der Willkür, Unrecht und Zwangsbeitrag erscheinen. Und, wie oben schon erwähnt, im Osten Deutschlands liegt der Anteil so Betroffener bei über 30%. (Man kann sich hier gerne fragen, inwiefern der Zwangsbeitrag so auch mitverantwortlich für den Zulauf von AfD, Pegida, der Stimmung in Chemnitz u.ä.a. im Osteil des Landes ist.)

Durchschnittsverdiener: Bei einem Durchschnittsverdienst i.H.v. Euro 3.000 kommt man mit demselben Rechner auf ein Netto-Verdienst von Euro 1.883. Davon macht der Rundfunkbeitrag an der Stelle 0,93% aus. Ziehen wir vom Netto wieder ein Drittel für Miete ab (Euro 628) und weitere Euro 150 für Nebenkosten (wie oben, aber etwas mehr - wer mehr hat, hat i.d.R. auch mehr Kosten), verbleiben effektiv ca. Euro 1.105, von denen wir wahrnehmbar den Beitrag zahlen.

Hochlohnverdiener: Hier kommen wir mit einem zugrunde gelegten Betrag i.H.v. Euro 5.000 und derselben Berechnungsmethode auf einen Netto-Verdienst i.H.v. Euro 2.822. Davon macht der Rundfunkbeitrag 0,62% aus. Wenn wir diesmal wieder ein Drittel für Miete abziehen (Euro 940) und Euro 250 für Nebenkosten, verbleiben Euro 1.632 von denen wir gefühlt (oder bei dem Betrag schon nicht mehr so gefühlt) den Rundfunkbeitrag zahlen.

Anteil der Hochlohnverdiener und Tendenz: Auch lt. IAB (sowie wie lt. Statistischem Bundesamt und Angaben der Statista GmbH) beziehen knapp zwei Drittel der Beschäftigten Monatsgehälter unter, und rund ein Drittel über dem Durchschnitt [14, 15]. Darüber hinaus sagt das IAB in seinem Bericht von 2017 jedoch folgendes Interessante zur Tendenz: "Während der Anteil der Niedrigentlohnten zwischen 2010 und 2014 stagnierte, stieg der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Hochlohn weiter an." [15]. - Dieser Anstieg ist u.a. relevant dafür, dass er Gesetzgeber und Rundfunkanstalten, genauso wie die steigende Tendenz bei der Anzahl von Einpersonenhaushalten, zeitnah bekannt war. Bevor die sozialunverträglichen Fakten geschaffen wurden.

Vergleich: Es handelt sich also nur nominell um Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG). Der tatsächliche Belastungsunterschied liegt etwa bei dem Doppelten. Hochlohnverdiener zahlen im Verhältnis 50% weniger als Geringverdiener für den ör-Rundfunk zahlen.

Erfahrungsbericht: Die angegebenen Wahrnehmungsunterschiede für die unterschiedlichen Verdiener-Segmente decken sich mit meinem Erfahrungen im Arbeitsbereich. Ich arbeite in einem Umfeld, in dem alle Verdiener-Segmente unter den Kollegen anzutreffen sind. Man kann sagen, wer nicht aus prinzipiellen, sondern finanziellen Gründen Einwände hat, hat sie folgendermaßen: unter den Geringverdienern stört es jeden, unter den Durchschnittverdiener stört es auch viele, aber sie stehen dem Betrag tendenziell gleichgültig gegenüber. Unter den Hochlohnverdienern widerum sind nicht wenige, die offen sagen, dass sie gerne mehr zahlen würden, wenn dadurch ein gerechteres Gefälle zustande käme und Geringverdiener weniger zahlen müssten.

Konsequenzen für Geringverdiener am soziokulturellen Existenzminimum: Wem nur wenig mehr als Euro 1.000 netto zum Lebensunterhalt verbleiben, der muss sich vom Arbeitsamt bescheinigen lassen, dass ihm noch mind. Euro 1 an Sozialleistungen zustehen oder er erhält keine Befreiung vom Rundfunkbeitrag (Befreiungen erhalten nur bescheinigte Härtefälle). Wem Euro 17,50 mehr als der Sozialhilfesatz verbleiben, der muss dem Gesetz nach diese Euro 17,50 an den Beitragsservice abführen. Das "" (basierend auf Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GGsoziokulturelle Existenzminimum) bezieht sich in Deutschland nur auf den vom Arbeitsamt als ALG II festgestellten Regelbedarf, je nach dem oftmals knapp unter oder um die Euro 1.000 (das schuldrechtliche Existenzminimum, also die Pfändungsgrenze, lieg nebenbei gesagt seit 01.07.2017 bei Euro 1.133,80 für alleinstehende Personen). Wer ein Einkommen in diesem Bereich hat, der weiß, dass man sich davon tatsächlich nur eine sehr a-typische soziokulturelle Teilhabe leisten kann. Dennoch müssen die genannten Personen oder eben auch Geringverdiener (Erwerbstätige, die nur wenig haben), die Euro 17,50 abführen. Das bedeutet, dass sie diese Euro 17,50 nicht dazu nutzen können, ihre soziale Teilhabe im Medienbereich sebst zu bestimmen. Sie sind zwangsverpflichtet wie jeder andere auch, für die Möglichkeit der Nutzung der örR mitzubezahlen. Diesen Personenkreis mind. nimmt die Rundfunkbeitrags-Zahlungsverpflichtung von der Freiheit aus, sich wahlweise mit dem Betrag ein anderes Medien-Paket wie bspw. ein erweitertes Kabel-TV-Paket oder Netflix- oder Online-Presse-Abo zu kaufen.

Nach der europäischen Sozialcharta liegt der Satz für ein angemessenes Mindestentgelt (Pendant zum dt. "soziokulturelle Existenzminimum") jedoch bei 68 % des nationalen Durchschnittsstundenlohns. Das wären hierzulande ausgehend von einem Brutto-Durchschnittsverdienst von ca. Euro 3.400 mindestens Euro 2.312 brutto. Aber brutto nützt uns nichts. Die können wir nicht ausgeben. Ermitteln wir ein Beispiels-Nettoeinkommen von Euro 3.400 (https://www.brutto-netto-rechner.info/) kommt man auf ca. Euro 2.190 netto, wovon 68% ein Netto-Mindesentgelt i.H.v. Euro 1.489 ergeben. Ein wesentlich höherer Betrag und einer mit dem tatsächlich eine normale soziokulturelle Teilhabe möglich ist! Man kann sagen, wer unter einem Netto-Auskommen von diesem Betrag zur Zahlung von Beiträgen zwangsverpflichtet wird, dem wird das Recht und die Freiheit genommen, sich aus Quellen seiner Wahl zu unterrichten (das Persönlichkeitsrecht, das sich ableitet aus GG Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit GG Art. 1 GG: dem allgemeinen Recht des Einzelnen auf Achtung und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr [19]).

Quellen:

[14] Definition für Niedriglohn (Niedrigentlohnte und Geringverdiener sind hier äquivalent verwendet) auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/187832/niedrigloehne

[15] Dieselbe Definitionen und interessante zusätzliche Informationen zur Entwicklung und auch Tendenzen im Hochlohnbereich stehen im IAB-Kurzbericht, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, Titel "Deutsche Geringverdiener im europäischen Vergleich", 15/2013, hier: http://doku.iab.de/kurzber/2013/kb1513.pdf

[16] Zur Entwicklung der Niedriglöhne in 2014 in Deutschland, siehe Statistisches Bundesamt (Destatis), Verdienste auf einen Blick, 2017, Seite 6-12: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VerdiensteArbeitskosten/Arbeitnehmerverdienste/BroschuereVerdiensteBlick0160013179004.pdf?__blob=publicationFile

[17] Statista untersuchte den Anteil der Niedriglohnbeschäftigten an allen abhängig Beschäftigten in Deutschland in den Jahren von 1998 bis 2015, und nennt für 2015 einen Anteil von 22,6%, siehe: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161881/umfrage/niedriglohnbeschaeftigte-in-deutschland-seit-1995/

[18] Zu den Anteilen der Niedriglohnbeschäftigten nennt z.B. das Handelsblatt Zahlen für 2016 hier: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/arbeitsmarkt-3-7-millionen-beschaeftigte-verdienen-weniger-als-2000-euro/21226554.html?ticket=ST-6346910-ty0s2Umo3qpdDXZdibmg-ap3

[19] Zum Persönlichkeitsrecht: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/22671/persoenlichkeitsrecht



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