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10 :: Gewissensfreiheit und Gewissenskonflikt


Das Argument des "Gewissenskonflikts" war nicht in meiner ursprünglichen Klage von 2016 enthalten. Ich habe es dem von Olaf Kretschmann (https://www.rundfunkbeitragswiderstand.de/befreien.html) entlehnt u. mit einer vom Gericht angeforderten Stellungnahme nachgereicht. Es lässt sich bei mir aus den vorgenannten Gründen 01-09 im Allgemeinen herleiten, und im Besonderen aus den auf der Seite "05 :: Adäquatheit der Gegenleistung" genannten, also im Zusammenhang mit mangelnder Staatsferne und daraus resultierender Orientierung der Berichterstattung zugunsten bestimmter Parteien und Perspektiven u. zulasten anderer.

Zusätzlich habe ich erst vor Kurzem (Zeitpunkt d. Schreibens/Aktualisierung: 03.05.2020) im Zusammenhang mit den Besonderheiten der Zeit unter dem Coronavirus etwas dazu gelernt, dass ich zuvor längst für "Geschichte" hielt: nicht nur während Corona, sondern seit 1950 überträgt der öffentlich-rechtliche Rundfunk (regionale u. Hauptsender wie ARD u. ZDF) "Gottesdienste"! Wovon ich als Nicht-TV-Guckerin und Atheistin gar nichts gemerkt hatte, war: es werden regelmäßig Gottesdienste im TV live ausgestrahlt oder Sendungen dazu veranstaltet. Die ARD sendet bspw. zu Themenschwerpunkten (https://programm.ard.de/TV/Themenschwerpunkte/Kirche-und-Religion/Fernsehgottesdienste/Startseite ), das ZDF überträgt jeden Sonntag "Fernsehgottesdienste" (https://www.zdf.fernsehgottesdienst.de/ ). Eine weitere Übersicht wo wann was übertragen wird, z.B. von BR, SR, NDR etc., findet sich auf Kirche.TV, dem Online-Portal der Deutschen Bischofskonferenz (https://fernsehen.katholisch.de/ ). Im Angebot befindet sich auch mal eine ökumenischer Gottesdienst, aber das Hauptangebot ist evangelisch oder katholisch!

Wie kann das sein? Heutzutage, in einem scheinbar sekulären Staat u. im 21. Jahrhundert?

Laut taz-Bericht v. 08.12.2013 sind die Sender sogar dazu verpflichtet, aber das Problem geht darüber hinaus. Die taz schreibt: "Die Rundfunkgesetze und -staatsverträge verpflichten die Sender zwar dazu, Gottesdienste, Morgenandachten und andere Kirchensendungen auszustrahlen. Doch die Öffentlich-Rechtlichen produzieren und finanzieren die Gottesdienste darüber hinaus selbst – und könnten sich nach Auffassung des Leipziger Rundfunkrechtlers Christoph Degenhart dafür die Kosten erstatten lassen. Sie tun es nur nicht." (Quelle: https://taz.de/Gottesdienste-im-Fernsehen/!5053173/ )

 Laut dem Autor des Artikels "Öffentlich-rechtliches Fernsehen" (06.01.2015, David Hober auf Katholisch.de) wurden die Grundlagen für die kirchliche Fernsehpräsenz bereits Anfang der 1950er-Jahre gelegt, dank der "Einsicht der Gründungsväter der Bundesrepublik", die wussten, dass Glaubensbotschaften "zum sittlich-religiösen Fundament der christlich-abendländischen Gesellschaft" gehören, ebenso wie zur Vielfalt des Programmangebots...

Hier fallen 2 Dinge ins Auge:

1. Misstrauen gegenüber dem Volk:

Damals, in den 1950er Jahren, nach Kriegsende und bei der Neuaufstellung des Rundfunks, hielt man es nicht für nötig oder angeraten (nach allem, was geschehen war), die "sittliche Erziehung" der Bevölkerung selbst zu überlassen, statt einem quasi-staatlichen Organ. Mit anderen Worten: man traute dem Volk nicht.

GENAUSO wie man damals dem Volk u. seinen Interessen hinsichtlich der Freiheit oder Verantwortlichkeit des Rundfunks misstraute und das Rundfunk-Modell der BBC (entgegen der landläufigen Behauptungen, die so gerne die BBC als Modell zitieren) NICHT übernehmen wollte! Eine Rundfunkordnung, in der man lediglich der „Öffentlichkeit“ gegenüber verantwortlich sein solle, lehnten die neu gegründeten Parteien (insbes. Konrad Adenauer) ab.

In einem Dossier zur Geschichte des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks schreibt die PuK (Politik und Kultur, Sept.-Okt. 2008, Seite 2): "[...] auch die SPD hielt mit ihrer Kritik nicht zurück und prangerte die für die neuen Gremien angestrebte Überparteilichkeit als ein Prinzip an, das in ihren Augen „ständisch“ sei".

Man sieht: Weder in "sittlicher" Hinsicht, noch irgendeiner anderen, traute man dem Volk... UND (!) man hat diese Einstellung von 1950 bis heute nicht revidiert!

2. Was "Programm-Vielfalt" im Jahre 1950 war, ist "Programm-Einfalt" im Jahre 2020:

Es ist ein Unding heutzutage "Glaubensbotschaften" innerhalb Deutschlands oder gar Europas noch mit der Basis einer kulturell gewachsenen "christlich-abendländischen Gesellschaft" (Katholisch.de) zu begründen. Während aktuelle Politker bei diversen Anlässen verkündeten "der Islam" gehöre zu unserer Gesellschaft u. bei wiederum anderen "das Judentum" gehöre zu unserer Gesellschaft, müsste es - wenn hier irgendwelche Ansprüche an Vielfalt und Gerechtigkeit ernst gemeint wären - genauso regelmäßig Gottesdienst für alle anderen Glaubensgemeinschaften geben im Fernsehen u. Radio u. Streaming-Mediatheken geben. Und NICHT ZULETZT, eine die sittlichen und ethischen Gebote "meiner Glaubengemeinschaft" vertretenden: DER ATHEISTEN!

Schließlich soll es sich beim Empfang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lt. BVerfG-Urteil v. 18.07.2019 (1 BvR 1675/16) um einen "individuellen Vorteil" handeln, NICHT um eine "Demokratie-Abgabe". Demnach sollte FÜR JEDEN etwas dabei sein. Ist es aber nicht.

Rundfunkbeitragsgegner, wie ich, sollen also nicht nur wegen bspw. der mangelnden Staatsferne und daraus resultierender Probleme in einen Gewissenskonflikt beim Finanzieren geraten, sondern auch noch aus diesem Grund: der Unfreiheit des Programms von religiösen Tendenzen (im Umkehrschluss: die mangelnde Religions- bzw. Programmvielfalt).


Nach Art. 4 (1) des Grundgesetzes sind die "Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses [...] unverletzlich" (GG Art. 4). "Die Freiheit des Gewissens schützt den Bürger vor dem hoheitlichen Zwang, gegen eine eigene Gewissensentscheidung handeln zu müssen. Als wesentliche Merkmale einer Gewissensentscheidung betrachtet die Rechtswissenschaft die Orientierung an den Kategorien von Gut und Böse sowie die innere Bindung des Gewissensträgers." (Artikel 4 des Grundgesetzes [...]: Gewissensfreiheit)





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Weiterlesen, abschließend:

Liste der Klagegründe

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