Warum klagen? Warum Reform des ÖRR ohne Rundfunkbeitrag?

Vor inzwischen über 2 Jahren, Mitte 2016, habe ich gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geklagt. Genaugenommen gegen den Veranstalter in meiner Region, den Rundfunk Berlin-Brandenburg, RBB (eine Spezialität für sich, denn schließlich habe ich gar nichts gegen den RBB konkret, aber es ging nicht anders - mein Versuch gegen "ARD, ZDF und Deutschlandradio" zu klagen wurde vom Gericht korrigiert). Ich habe geklagt, weil ich den Rundfunkbeitrag aus so vielen Gründen (siehe Themenseiten) für so anachronistisch und ungerecht halte, dass ich seine Forderung nicht als gutes Recht ansehen kann ("Recht" im  Sinne der Radbruchschen Formel).

Antenne
 In den 1980er Jahren begann die Privatisierung von Staatsunternehmen weltweit. In Deutschland betraf die Privatisierung die netzgebundene Infrastruktur (Energie, Post, Telekom, Bahn) in den 1990er Jahren u. lokale, soziale Infrastruktur (Wohnung, Gesundheit, Bildung usw.) ab 2000 (Phasen der Privatisierung, Hans-Boeckler-Stiftung). Solche Systemumstellungen im Großen (ob sie nun immer gut sind oder schlecht, sei dahingestellt) wirken sich auch immer auf die Lebensweisen der Menschen im Kleinen aus. So gab es im Mietshaus, in dem ich mit meinen Eltern in den 70er Jahren wohnte, noch Steckdosen im Keller, die jeder Mieter benutzen konnte (heute ist das eher selten), Hausflure wurden oft mitbeheizt. Die Wasserkosten wurden pauschalisiert, heute bekommt jeder eine verbrauchsabhängige, personalisierte Wasserabrechnung. In vielen Unternehmen muss jede Abteilung, Projektgruppe oder kleine Arbeitsgruppe ihre Verbrauchsmaterialien selbst verwalten und die Kosten verantworten. Bei einer großen Firma, in der ich mal in den Semesterferien arbeitete, musste man einen Zähler haben, der in den für alle Abteilungen zugänglichen Kopierer eingesteckt wurde, damit die Abrechnung der Kopien jeder einzelnen Abteilung zugerechnet werden konnte. Viele Menschen, insbesondere sog. "Millennials", haben es nie anders gekannt. Für sie ist die Vorstellung für alles dem Verhältnis ihres Verbrauchs und Nutzens entsprechend zu bezahlen das Normalste der Welt. Normal und völlig logisch. - Nicht so jedoch beim Rundfunkbeitrag.

Wenn es um die Zahlung des Rundfunkbeitrags geht, ist alles anders. Hier wird für jeden nach dem Motto der Anstalten bzw. des Beitragsservice "Einfach für Alle" ein Beitrag einfach pro Wohnung angesetzt  ... "What?" oder zu Deutsch "Hä?" rutscht so manch einem da heraus, gerade wenn sie das erste Mal den Brief vom Beitragsservice erhalten (der ihre Daten einfach vom Meldeamt - u. in meinem Fall von der Post! - erhalten durfte). In einer Wohnung wohnen heute manchmal viele, manchmal nur ganz wenige (Einpersonenhaushalte). Fast jeder hat sog. Empfangsgeräte, nicht wenige aber haben gar keine Lust damit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) zu empfangen. Darüber hinaus verdienen manche dieser Bewohner mehrere Tausend Euro im Monat, nicht wenige aber verdienen unter dem Durchschnitt. Es gibt heute viele sog. atypische Beschäftigungsverhältnisse (siehe Atypische Beschäftigung oder Das Normalarbeitsverhältnis). Die so Beschäftigten verdienen oft weniger als der Durchschnitt nach Abzug evtl. selbst zu zahlender Versicherungsbeiträge, und wenn sie dennoch eher gut verdienen, wissen sie nicht, wie lange. Für den ÖRR sollen all diese verschiedenen Wohner und Verdiener das jedoch das Gleiche zahlen - egal wie viel oder wie wenig sie den örR tatsächlich nutzen. - Und all das, während der ÖRR dabei eine Entwicklungs- und Bestandsgarantie vom Gerichtlich zugesagt bekommen hat (ja, d.h. Wachstum und Preissteigerungen!), die völlig "atypisch" ist in der Welt von heute.

Befürworter des ÖRR und seines Beitrags interpretieren sich die Entwicklungs- und Bestandsgarantie gerne schön, und wünschen sich: "Die verfassungsrechtlich verankerte Entwicklungsgarantie begründet kein Wachstumsprogramm für die Rundfunkanstalten" (Staatssekretärin Heike Raab von Rheinland-Pfalz im Tagesspiegel v. 02.09.2018: "Es geht um mehr als um den Rundfunkbeitrag"). Die bisherige Expansion der Anstalten zeigt jedoch eine andere Realität. Parallel dazu ist aktuell eine Diskussion im Gange, bei der es um das Wie künftiger Beitragssteigerungen geht. Ein Favorit dabei ist die Indexierung, die Koppelung an die Inflationsrate ("Indexierter Rundfunkbeitrag", ein Artikel in der Medienkorrespondenz, der Hauszeitschrift der Medienmacher, der ÖR und der Privaten).

Kein anderer, kein Unternehmen und keine Privatperson, hat für seine Entwicklung eine "[dynamische] Entwicklungs- und Bestandsgarantie" - heute weniger als je zuvor. Es wäre schön, wenn wir die alle hätten. Und wenn all die, die so gesinnt sind, zu meinen, DAS (einen mit solchen Rechten ausgestatteten öffentl.-rechtl. Rundfunk) bräuchte die Demokratie, wenn diejenigen sich nicht nur für den ÖRR stark machen würden, sondern dann doch gleich dafür, dass wir alle eine Entwicklungs- und Bestandsgarantie haben können. Wie der gute alte Gundermann (das Universum hab ihn seelig) schon sagte oder sang: "Aber alle oder keiner".

All diese Kritik soll das Ungerechtigkeitsempfinden unterstreichen, das sich durch die Erhebung des Rundfunkbeitrags breit macht - mindestens; und noch mehr, wenn man zu den durch ihn besonders Benachteiligten gehört (Einpersonenhaushalte, Geringverdiener, Nicht-Nutzer). Neben den gefühlten, gibt es aber, wie eingangs schon verwiesen (siehe Themenseiten), auch haufenweise rechtliche Gründe.

Wer das ähnlich sieht, hat 3 Möglichkeiten:
  • hoffen, irgendwann tut sich etwas (von alleine?), und trotzdem zahlen;
  • nicht zahlen und sich irgendwann mit den Konsequenzen der Nichtzahlung beschäftigen;
  • oder Klage einreichen.

Zum Klagen braucht man am besten Gründe, durch die man persönlich von Nachteilen betroffen ist. Darüber hinaus ist natürlich auch eine direkte Verfassungsbeschwerde möglich, im Fall des Rundfunkbeitrags sogar ohne, dass man zuvor den Weg der Instanzen selbst erschöpft haben muss.

Wenn man den rechten Zeitpunkt dafür nicht verpasst hat (nach Beitragsbescheid bzw. Festsetzungsbescheid erst Widerspruch einlegen, dann klagen), ist der Klageweg nach meinem Dafürhalten der beste. Hierbei kann man einen "Antrag auf Aussetzung der Vollziehung" stellen und, wird der angenommen (und in meinem Fall war das so), braucht man bis zum Abschluss des Verfahrens nicht zu zahlen (gute Tipps und Hinweise zum Vorgehen gibt es auf der Seite Aufklärung ... von Online-Boykott). 

Klagen klingt nach Amtsschimmel, Aufwand und ödem Papierkrieg? Warum gibt's da nicht 'ne App für? Tja, gibt's leider nicht. Und wer daran glaubt, dass die politischen Parteien oder die Anstalten sich selbst reformieren, der kann ja darauf warten. Meiner Meinung nach gibt's eher 'ne Klage-App, als dass das passiert.

Warum sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht selbst reformieren werden

Eine weitreichende Reform durch die Anstalten selbst ist nicht zu erwarten. Grund: Alle bisherigen "Entwicklungen" zeigen in eine andere Richtung - in Richtung Ausweitung von Rechten, Sendern und Erhöhung von Beiträgen. Aus der Beispiele-Kiste:

  • am 14.06.2018 wurde die Erweiterung des Telemedienauftrages der Rundfunkanstalten beschlossen (hier eine Reaktion der Privaten darauf: "Reales Bedrohungsszenario")
  • gegenwärtig wird die Abschaffung der den Finanzbedarf prüfenden KEF diskutiert und stattdessen die Einführung eines Index-Modells für den Beitrag (ein Artikel dazu aus dem Tagesspiegel: "Steigt die Inflation, steigt der Rundfunkbeitrag")
  • ARD-Rundfunkrat, ZDF-Fernsehrrat sowie Deutschlandradio-Hörfunkrat bestehen zu einem großen Anteil aus Politikern und der andere Teil kommt nur über die Politiker dort hinein (beim ZDF über sog. Freundeskreise, siehe dazu den Artikel "Unter Freunden" in Übermedien)
  • zwischen den öffentlich-rechtlichen Veranstaltern und den Produktionsfirmen bestehen starke Verflechtungen und Abhängigkeiten (siehe dazu "ARD und ZDF unter Verdacht: Alle Befürchtungen bestätigt" in der FAZ)

Die einzigen guten Reformvorschläge von Parteienseite, von denen ich bisher gelesen habe, kommen von einer Parteiunterorganisation, mit deren bahnbrechendem Einfluss in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, den Jungen Liberalen. Sie entsprechen in etwa dem, was ich mir an Reformen wünschen würde: Positionen der JuLis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Die Vorschläge der FDP selbst aber gehen bereits weniger weit. Von der CDU, SPD und den Grünen kommen keine guten Reformvorschläge bzw. nur solche, die nicht am System rütteln, denn die Mitglieder dieser Parteien sitzen in den Gremien der Rundfunkanstalten und möchten dies auch weiterhin. Von der Linken gibt es Kritik, aber keine weitreichenden Reformvorschläge. Vom AfD Landesverband Bayern gibt es ein Volksbegehren Bürgerrundfunk. Ein wichtiger Teil davon, Teile des ÖRR zu Bezahlsendern zu machen, wurde jedoch bereits vom BVerfG für nicht verfassungskonform erklärt (ERGÄNZUNG um Angabe des Urteil, Stelle u. Link folgen). Darin bezieht sich das Gericht zwar auf veraltete Urteil ("veraltet", nicht weil Urteile im Wortsinne veralten, sondern aufgrund ihres Inhalts, der einem starken Wandel unterzogen ist), aber das ist bisher die gängige Praxis des BVerfG, ebenso wie der meisten vorinstanzlichen Gerichte. Deshalb fordert meine Klage auch eine Aktualisierung der Basis für die Gründe und ein Einbeziehung unabhängiger, aktueller Gutachten.


An eigene Reformen der Anstalten glaube ich deshalb, aus all den genannten Gründen, nicht. Deshalb halte ich Reformen per Gerichtsbeschluss für wahrscheinlicher als andere. Deshalb habe ich geklagt. Und wegen all dem halte ich nur eine Reform ohne Rundfunkbeitrag für eine gute Reform.

Der Rundfunkbeitrag ist zu ungerecht gestaltet, wie er ist. Wenn der ÖRR aber in der nötigen Weise reformiert würde, würde seine Finanzierung automatisch zur Gemeinlast - es gäbe keine "individuell zurechenbare Gegenleistung" mehr und keinen Beitrag. 








 


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Märchen von der deutschen Beitragshöhe im EU-Mittelfeld

Der Fall Georg Thiel und wie sich andere "Opfer" gegen ihn stellen

Die Klimakrise, die Klimamedienkrise und der ÖRR